Peripherien im Inneren
Peripherien im Inneren ist eine Veranstaltungsreihe im Wohnprojekt Kohlenrutsche zwischen Juni 2024 – November 2025, initiiert von Sabine Bitter, Jeff Derksen, Michael Klein, Christina Linortner und Helmut Weber.
Prozesse der gegenwärtigen Stadtentwicklung, wie jene des Nordbahnhofviertels im 2. Wiener Gemeindebezirk, sind mit herkömmlichen Parametern von Zentrum und Peripherie kaum mehr zu fassen.
Der Blick auf neue Stadtteile, die sich in Innenbereichen der städtischen Geographie an ehemals für die Versorgung und Funktion der Stadt zentralen Orten, wie z.B. Bahnhofsareale entwickeln, macht deutlich, wie in den städtische Transformationsprozessen aus einst zentralen Orten (die stets im Wechselverhältnis standen zu den Räumen der Peripherie außerhalb der Stadt) selbst dezentrale, überflüssige, vernachlässigte und periphere Brachen wurden. Und wie diese in den Stadtkörper zwischenzeitlich eingelagerten Peripherien von den neu entstehenden Wohn-, Lebens-, und Arbeitsbedürfnissen der Bewohner:innen als Stadtentwicklungs-Quartiere neu zentriert werden.
Das gemeinschaftliche Wohnprojekt “Kohlenrutsche” im Gebiet des ehemaligen Nordbahnhofs ist durch seine Lage prädestiniert, sich dieser Verschiebungen und Neujustierungen der Konstellationen von Zentrum und Peripherie anzunehmen: zum einen um diese neu entstehenden (Wechsel-)Verhältnisse durch eine thematische Veranstaltungsreihe zu lokalisieren, zum anderen unterschiedliche Masstäblichkeiten des Peripheren auf ihre transformativen Potentiale hin zu untersuchen – aber auch die gesellschaftlichen Konsequenzen von Mechanismen der Peripherisierung, der Vernachlässigung und Marginalisierung in den Blick zu nehmen. Der lokale Anlassfall bildet den Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit Ansätzen, das Periphere neu zu denken.
Eine Veranstaltungsreihe von künstlerischen, filmischen, städtischen und kulturellen Praktiken wird von aktuellen, sozio-kulturellen, politischen und theoretischen Reflexionen begleitet.

Lotte Schreiber
Screening der Filme Borgate und Sabaudia und Gespräch mit der Künstlerin und Filmemacherin über den Aspekt der Peripherie in ihren Arbeiten und La Mostra, ihrem gerade entstehenden Film.
Borgate (A 2008, 15 min.)
Eigentlich hätte es eines der urbanen Vorzeigeprojekte des modernen Italien nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollen: Das – obwohl bereits unter Mussolini geplante – Stadtviertel Don Bosco am südlichen Rand Roms, wurde ganz im Geist des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit und im Stile des Modernismus der 1950er und 1960er Jahre errichtet. Vergleichbar mit Wohnbauprojekten in anderen europäischen Großstädten zeigt sich auch in Don Bosco virulent die Kluft zwischen den sozialpolitischen Utopien der Moderne und deren Realität. (Gerald Weber)
Sabaudia (A 2018, 24 min.)
Sabaudia macht die Landschaft des Agro Pontino, südlich von Rom, sowie die dort unter Mussolini erbaute Kleinstadt Sabaudia, in der sich die monumentale Architektursprache der rationalistischen Moderne in ihrer puren Form manifestiert, zum Schauplatz. Als “filmische Kartografie” eines einzigartigen Landstrichs, einer konkreten Stadt und deren Architektur reflektiert der Film auf das Phänomen des Faschismus -einerseits als historische, andererseits als aktuelle, stark wiederaufkeimende Realität in Europa.
Filmemacherin, Künstlerin und Filmkuratorin Lotte Schreiber lebt in Wien und arbeitet an der Schnittstelle von Kino, Architektur und Gesellschaft in den Bereichen Experimental- und Dokumentarfilm, Video-Installation und Performance. Neben der Teilnahme und Auszeichnungen an zahlreichen internationalen Filmfestivals (u.a. Best short film Edinburgh Filmfestival 2013) wurden ihre Werke in diversen Museen und Galerien ausgestellt, u.a. Neue Galerie Graz, NSK State Pavilion an der 57. Biennale di Venezia, Kunsthaus Graz, Museum of Contemporary Art Voivodina, Novi Sad, RS. 2017 Staatsstipendium für Video- und Medienkunst, 2015 Diagonale Preis für Innovatives Kino (gemeinsam mit Sasha Pirker), 2011 den Outstanding Artist Award für Avantgardefilm des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Ihre Filme werden von sixpackfilm vertreten und betreut.
30. September 2025


Andrea Ressi
Kritische Landschaften – Embleme der Ausbeutung
Im Anschluß an die Eröffnung des Kunstschaufensters mit Andrea Ressis Arbeit Kritische Landschaften – Embleme der Ausbeutung (2020/2021), die Landschaften des 21. Jahrhunderts, die beispielhaft für die Ausbeutung von Ressourcen in einer globalisierten Welt stehen, zeigen.
“Kritische Landschaften & Postsozialistische Randlagen”
Im Rahmen der Reihe Peripherien im Inneren sprechen die Künstlerin Andrea Ressi (Wien) und der Kurator Jochen Becker (Berlin) über die Transformation von Räumen im postsozialistischen Europa und über Ressis langjährige künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Landschaften und Städten wie Český Krumlov, Prag oder Taschkent.
Die Künstlerin Andrea Ressi lebt im zweiten Wiener Gemeidebezirk. In ihren Arbeiten befasst sie sich mit der Vermessung urbaner Landschaften und mit Bild- und Zeichen-Sprachen des öffentlichen Raums. Sie studierte Kunst und Architektur und erforscht in ihren künstlerischen Projekten urbane Geographien in postsozialistischen Städten und kartographiert derentransitorische Stadträume. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stehen Fragen der Produktion und Transformation von Räumen durch Prozesse der Globalisierung. In unterschiedlichen Medien wie Malerei, Installationen und Projekten im öffentlichen Raum untersucht sie dabei die Bildwelten des öffentlichen und medialen Raums und ihre Zeichen und Symbole.
Jochen Becker (Berlin) arbeitet als Autor, Kurator und Dozent und ist Mitbegründer von metroZones | Center for Urban Affairsund der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf. Becker kuratierte u.a. Chinafrika. under construction sowie Place Internationale am Düsseldorfer Theater FFT, zuletzt mit metroZones Mapping Along (Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin) und Helle Fabrik, Dunkelkammer Produktion (Scharaun Berlin, Kunstraum München). In der station urbaner kulturenkuratierte er u.a. Ausstellungen mit Helga Paris/Ulrich Wüst, Katharina Sieverding, Akinbode Akinbiyi/Elske Rosenfeld oder Bitter & Weber. Aktuell arbeitet er am Forschungs- und Ausstellungsprojekt Robotron & Co. Becker kuratierte die Kongresse SITUATION BERLIN sowie das Glossar Urbane Praxis und ist Teil des EU-Forschungsverbundes New Towns, New Narratives.
21. Februar 2025

Svitlana Matviyenko
Decentering Catastrophe by Looking from Ukraine
What does it mean to conduct war environmentally? What assemblages and materialities are entangled within the war’s terror environments? How do terror environments proliferate? The talk will comparatively theorize three cases of the Russian occupation of 1) the Chornobyl nuclear power plant, 2) the Zaporizhzhia nuclear power plant, and 3) the industrial areas of the Ukrainian South-East to demonstrate the extended temporality of colonial legacies mobilized by the ongoing war.
Svitlana Matviyenko is an Assistant Professor of Critical Media Analysis in the School of Communication at Simon Fraser University, Vancouver, Canada.
Her research and teaching are focused on information and cyberwar; political economy of information; media and environment; infrastructure studies. She writes about practices of resistance and mobilization; digital militarism, dis- and misinformation; Internet history; cybernetics; psychoanalysis; posthumanism; the Soviet and the post-Soviet techno-politics; nuclear cultures, including the Chornobyl Zone of Exclusion. She is a co-editor of two collections, The Imaginary App (MIT Press, 2014) and Lacan and the Posthuman (Palgrave Macmillan, 2018). She is a co-author of Cyberwar and Revolution: Digital Subterfuge in Global Capitalism (Minnesota UP, 2019), a winner of the 2019 book award of the Science Technology and Art in International Relations (STAIR) section of the International Studies Association and of the Canadian Communication Association 2020 Gertrude J. Robinson book prize.
19. Dezember 2025

Will Straw
What is happening to the night?
Will Straw’s recent research centers on night cultures and how the nighttime cultures of cities are governed, promoted and represented around the world. This phenomenon has resulted in cities establishing “night mayors” or a “night czar”, in the case of London, to support nocturnal sociability, nighttime safety, and nighttime economies. This points to the new policy regimes established by cities specifically for nighttime cultures. From a cultural perspective, Straw’s work looks at the night as a “territory” of the urban experience and how it is represented in cinema, journalism, fiction, and art.
In his talk, he will draw on his broad knowledge of the spaces, temporalities and experiences of night cultures to give an overview of the recent and intense interest in the night. This interest is manifest in “night mayors” in cities globally, political battles over urban noise and lighting, and the enormous number of gallery exhibitions devoted to the visual culture of the night.
Straw maintains a website, theurbannight.com, that tracks developments in night-time urban culture.
The talk will be introduced and moderated by Jeff Derksen (Simon Fraser University), a writer who lives in Vienna and Vancouver.
Dr. Will Straw is the James McGill Emeritus Professor of Urban Media Studies McGill University in Montréal, Québec. His engaging and wide-ranging research is rooted in the production and reception of cultural production, with on focus on music and media, as well as DIY culture, fandom, and other forms of sociability. He is on the editorial boards of many of the leading journals in several fields, including Screen, Cultural Studies, Intermédialités, Convergences: The International Journal of Research into New Media Technologies, Space and Culture, and Journal of Urban Cultural Studies. With Kieran Bonner, he co-edits the book series Culture of Cities (McGill-Queens University Press).
12. November 2024

Eva Engelbert
Einfacher Hausrat
Eva Engelbert stellt ihre Arbeit Einfacher Hausrat vor, anschließend Gespräch moderiert von Julia Wieger.
Ziel des Wettbewerbes Einfacher Hausrat der k.k. Kunstgewerbeschule Wien in 1916 war es, preiswerte Möbel für die durch den Krieg verarmte Bevölkerung zu schaffen. Eva Engelbert geht der Frage nach, welche Parallelen es zwischen Leerstellen in der Geschichtsschreibung und der Wiederbelebung traditioneller genderspezifischer Rollenverteilungen, zwischen den Ersatzstoffen aus dem Ersten Weltkrieg und der aktuellen Erforschung nachhaltiger Materialien gibt. Sie fragt nach einem widerständigen Potential in vergessenen Praktiken und wie diese für ein empathisches und gleichberechtigtes Zusammenleben beitragen können.
Eva Engelbert ist Künstlerin und lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien und an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs Paris. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in Ausstellungen im Kunstraum Lakeside, Klagenfurt, im MAK Center, Los Angeles oder in der Galerija SC, Zagreb gezeigt. 2022 erhielt sie das Staatsstipendium für Bildende Kunst, zuletzt war sie Artist in Residencedes MAK Schindler Programms in Los Angeles. Seit 2015 unterrichtet sie an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Abteilung Skulptur und Raum.
1. August 202

Dariusz Kowalski
Zwischennutzung
Zwischennutzung, ein Film von Dariusz Kowalski, 2022, Deutsch mit englischen Untertiteln.
Der Wiener Zentralbahnhof mitsamt seinen monochromen Bürogebäuden und Apartmentblöcken im Sonnwendviertel kommt in Zwischennutzung von Dariusz Kowalski nur nebenbei als eine Kulisse ins Bild, vor der die Jugend aus Favoriten Fußball spielt. Statt um Stadtentwicklung vom Reißbrett geht es in dem Dokumentarfilm um wild gewachsene Strukturen: um ein Dazwischen, eine Nische, die gut versteckt im Niemandsland zwischen Stadtautobahn und Industriestandorten liegt. Dort steht die ehemalige Fleischfabrik, die für eine bunte Truppe aus Unternehmern und Kreativen filetiert wurde. Der Probenraum einer beherzten Growl-Metal-Band ist darunter oder das Atelier des Konzeptkünstlers Fabio Zolly, eines Bekannten des Filmemachers. (Dominik Kamalzadeh, sixpack film)
Dariusz Kowalski, geboren in Krakow, Polen, lebt und arbeitet in Wien und Linz. Er studierte Visuelle Mediengestaltung an der Universität für Angewandte Kunst Wien und ist Mitarbeiter der Medienwerkstatt Wien. Er ist Uni.Assistent und Lektor an der Universität für künstlerische und Industrielle Gestaltung Linz und leitet seit 2022 den offspace „SIZE MATTERS. Raum für Kunst & Film“ mit Sasha Pirker. Seine Arbeiten wurden u.a. in folgenden Kunstinstitutionen ausgestellt: Austrian Cultural Forum New York, Secession Wien, Kunsthalle Wien, Kunsthaus Graz, im transnationalen Pavillion 0 im Rahmen der 55 Biennale von Venedig.